Moin Joel, leider war ich jetzt eine ganze Weile anderweitig beschäftigt und komme erst jetzt dazu, auf deine Frage zu antworten. In der Zwischenzeit hat sich der Thread hier auch schon ein bisschen verselbstständigt.
Aber zu deiner Frage: Tatsächlich habe ich erst einmal grundsätzlich die Haltung, dass jede und jeder glauben kann, was auch immer sie oder er will: ob jemand in der Kirche mit Gott spricht oder schamanistische Rituale durchführt, das ist komplett ihr bzw. sein Ding. Oder am Hinkelstein mit Odin quatschen, um hier im Norden zu bleiben.
Problematisch wird es für mich, sobald dies Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt und mich persönlich hat. Dazu muss ich aber etwas ausholen:
Ich habe zum Beispiel ein Problem damit, dass ich mit meinen Beiträgen Homöopathie finanziere (was eben keinen nachweisbaren Effekt über den Placeboeffekt hinaus hat – was ja nicht heißt, dass man den Placebo-Effekt nicht nutzen soll, nur dann nennt es eben bitte auch so. Und weil 10 von 100 Studien doch einen leichten Effekt darüber hinaus finden, ist das eben noch lange kein starker Beweis), während halbwegs vernünftige Brillen oder Zahnersatz zusätzlich versichert oder privat bezahlt werden müssen – wo der Effekt, insbesondere zum Beispiel psychologisch, spitzenmäßig belegt ist (hässliche Brille oder miese Zähne können sich auf das eigene Selbstbild nachweislich massiv auswirken, ist aber natürlich auch wieder vom gefestigten Selbst und Umfeld des Individuums abhängig).
Ein bisschen Hexerei in der Landwirtschaft wie mit dem Hornmist wäre mir im Grunde auch egal, würde dem nicht die gesamte Denkweise zugrunde liegen, die eben dann auch wieder Homöopathie anwendet und diese Haltung nach außen trägt. Langfristig fördert die öffentliche unwidersprochene Unterstützung derartiger Überzeugungen, insbesondere durch öffentliche Stellen (wie zum Beispiel Krankenkassen oder Fördermittelgeber EU in Sachen bio-dynamische Landwirtschaft) eine grundsätzliche Einstellung, die empfänglich macht für sogenannte „Alternativen“. Etwas als „Schulmedizin“ zu bezeichnen meint eben schon, einen Unterschied zu machen. Da kommen wir jetzt aber so langsam ans Eingemachte: Es ist keine "Schul"medizin, es ist evidenzbasierte Medizin, die sich der gleichen überprüfbaren wissenschaftlichen Methodik bedient, auf Basis der wir Thesen zur Atomspaltung aufgestellt und überprüft haben … und am Ende steht halt ne Bombe bzw. nen Haufen strahlender Atommüll. Das nenne ich einen starken, dokumentierten und replizierbaren Beweis. Übrigens ist die Halbleiterforschung, auf deren Basis wir die Technologie bauen, entwickeln und verbessern, mit der wir sowas wie Tomorrow überhaupt erst nutzen können, auch komplett auf Basis dieser Methoden entstanden. Da hat sich keiner hingestellt und einfach behauptet: „So geht’s, beweist mir erstmal das Gegenteil“. Starke Behauptungen brauchen meiner Meinung nach starke Beweise – was ohne Beweise behauptet werden kann, das kann sonst auch ohne Beweise verworfen werden (zitiert frei nach C. Hitchens). Und nein, der Einzelfall aus dem Bekanntenkreis ist kein starker Beweis.
Eine Haltung, die diese Prinzipien infrage stellt, öffnet auf lange Sicht auch Tür und Tor für alle anderen gleichartigen Bereiche, die auf Glauben beruhen und Beweise schuldig bleiben: Horoskope und Kristalle sind da nur zwei Beispiele … und damit unterstützen solche Haltungen nicht nur eine Tendenz zur Wissenschaftsfeindlichkeit, sondern es droht auch das Handwerkszeug zu fundierter faktenbasierter Kritik verloren zu gehen. Ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft grundsätzlich einander davor schützen sollten, Bauernfängern, die mit esoterischem Unsinn anderen Menschen das Geld aus der Tasche ziehen, auf den Leim zu gehen. Oder beiweist mir jemand erst einmal, dass ich nicht mit der armen Seele eines toten Kindes sprechen kann … für 1000 Euro, versteht sich. (An dieser Stelle starke Empfehlung für den Zauberkünstler James Randi, der in bester Tradition von Houdini gegen Pseudowissenschaftler und vermeintliche „echte“ Magier zu Felde gezogen ist – leider schon verstorben, aber auf Youtube gibt’s noch ein paar Schätze zu finden).
Ganz wichtig: damit will ich jetzt nicht jeden Demeter-Bauern in die Impfgegner-Ecke stellen oder per se jede Form von Spiritualität oder Religiösität verteufeln. Ich werde das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit auch als überzeugter Atheist für all jene verteidigen, mit denen ich nicht einer Meinung bin.
Aber den Fakten sind unsere Meinungen egal – siehe Klimawandel. Und das ist der Grund, weshalb mir persönlich die Art von „grüner“ Bank im Falle von Tomorrow so wichtig ist.
Speziell zum Thema Homöpathie und den entsprechenden Argumenten gibt es hier noch einen lesenswerten Gastbeitrag in der ZEIT von 2017, der nicht hinter der Paywall liegt: ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.