Ich möchte hier mal den Begriff „Werbung“ schärfen. Landläufig ist Werbung, womit Werbeeinnahmen generiert werden. Jemand anderes zahlt mir Geld dafür, dass ich seine Dienste bewerbe.
Dann gibts die Werbebanner in der App, mit denen Tomorrow auf die eigenen Features hinweist. Diese sollten sich meines Erachtens in den App-Einstellungen deaktivieren lassen können. Hier wäre es vorbildlich, wenn Kund:innen Kommunikationswege selbst festlegen können: App-Banner okay, aber keine Werbung per E-Mail zum Beispiel.
Die Benefits sind etwas anderes. Natürlich hat Affiliate-Marketing werblichen Charakter, aber es werden keine Werbeeinnahmen erzielt sondern Provisionen erwirtschaftet. Und Tomorrow kuratiert die Inhalte. Benefits sind irgendwo zwischen (reinrassiger) Werbung und redaktionellen Produktempfehlungen angesiedelt. Wichtig ist hier vor allem, dass die Beziehung transparent ist. Also nicht wie die Bunte, die auf der einen Doppelseite einen redaktionellen Artikel zu Demenz schreibt und dann auf der nächsten Seite die passende Ginko-Pille bewirbt.
An den Absatz zu den Benefits möchte anschließen, dass natürlich offensichtlich ist, was hier abgeht: Benefits sind eine Einnahmequelle für Tomorrow. Die Kundenbeziehung wird monetarisiert. Auch bei Tomorrows offensichtlichem Interesse an dieser Einnahmequelle kann man gleichzeitig glauben wenn sie sagen, dass sie eine konsumkritische Grundhaltung vertreten, und gleichzeitig aber mit Affiliate-Marketing Konsum zu nachhaltigeren Anbietern lenken möchten. Das ist ein Sowohl-als-auch, und es greift überhaupt nicht in die individuelle Konsumentscheidung ein.
Zur ökonomischen Grundlage: Die Situation ist kompliziert. Wir alle wissen, dass Fintechs in der Aufbauphase Geld verbrennen. Das ist bei Tomorrow nicht anders. Kundenwachstum kostet. Produktentwicklung kostet. Personal kostet (viel, wenn man faire Löhne zahlt). Support kostet, Banking-as-a-Service kostet … Im direkten Vergleich zu Mitbewerbern wie N26, Revolut, Vivid beschneidet sich Tomorrow zusätzlich selbst: die Interchange-Spende, das „pro bono“ angebotene Spenden-Feature verursacht Kosten für Tomorrow (Entwicklung, aber auch der laufende Unterhalt).
Wir haben mit Tomorrow ein Fintech, das aktuell noch mit sehr vielen Bestandskunden ohne Kontogebühren wirtschaftet, das sich selbst in eine ökonomisch ungünstigere Ausgangsposition bringt (im Marktvergleich), das mit dem Anspruch an Nachhaltigkeit in einer (wenn auch wachsenden und gerade trendigen) Nische agiert, und beim Wagniskapital (VCs) nicht mit jedem in die Kiste springt.
Es gibt also schon rein ökonomisch härtere Zwänge, die Erträge zu steigern – wieder im Marktvergleich. In Zusammenhang mit den Kontogebühren: Ob die Preise und die Kontomodelle aufgehen, ob also die Waage gefunden wurde zwischen Preis und Produktleistung, das wird sich erst in einer Weile zeigen. Wie justiert man das? Wie stellt man den Kontopreis ein, um auf weitere Ertragsquellen (wie Affiliate Marketing) verzichten zu können? Ich kann das, ehrlich gesagt, nicht beurteilen. Ich habe schlicht keine Ahnung über die Ertragslage, wie z.B. die EÜR beim Kontomodell „Now“ konkret aussieht. Ist das schon kostendeckend? Erst, wenn alle 2 Monate kostenpflichtig Geld abgehoben wird? Nur bei Android-Nutzern, weil Apple Pay und Interchange-Spende ins Geld geht? So viele Details …
Meine Aversion gegen Affiliate-Marketing gerät dann in den Hintergrund, wenn das Interesse am nachhaltigen Erfolg und Fortbestand von Tomorrow in den Vordergrund tritt. Da ist es für mich dann okay, wenn die „Benefits“ an den Start bringen, auch wenn mich das nicht sonderlich interessiert. Die sollen ruhig ausprobieren, was funktioniert. Wenn’s niemand nutzt dann ist das auch schnell wieder in der Tonne.